Gespräch CEO und Präsident des Verwaltungsrats
«Unsere Unternehmenskultur ist unser grösster Wettbewerbsvorteil»
Sika ist stark aufgestellt. Die im Berichtsjahr erzielten Ergebnisse bestätigen für Paul Hälg, Präsident des Verwaltungsrats, und Thomas Hasler, CEO, dass die strategischen Ziele realistisch sind und der Sika Spirit massgeblich zu deren Erreichung beiträgt.
Sika hat 2023 in allen Regionen ein zweistelliges Umsatzplus erwirtschaftet. Welches waren die treibenden Faktoren?
Hasler: Den stärksten Schub hat uns die Akquisition der MBCC Group gegeben. Sie wird seit dem 2. Mai 2023 konsolidiert und hat rund 12% zum Umsatzwachstum beigetragen. So ist Sika im Jahr 2023 organisch um 1.2% gewachsen, gegenüber einem sich negativ entwickelnden Markt.
Um wie viel ist die EBIT-Marge ohne Berücksichtigung der Akquisition von MBCC gestiegen?
Hasler: Unser EBIT konnte, wie angekündigt, überproportional gesteigert werden. Unsere Betriebsmarge ist um 12.7% gestiegen – ohne akquisitionsbedingte Aufwände, Erträge und Devestitionserlöse. Hauptgrund ist, dass es uns gelungen ist, die Materialmarge mit 53.6% deutlich auszubauen (2022: 49.4%).
Wie haben sich die Schwäche in europäischen Wohnbaumärkten und die Immobilienkrise in China auf den Absatz von Sika Lösungen ausgewirkt?
Hasler: Ich möchte vorausschicken, dass für Sika Infrastrukturprojekte wichtiger sind als der Wohnungsbau. Im Wohnungsbau hatte die EMEA-Region einen schwierigen Start ins Berichtsjahr. Hohe Inflationsraten und steigende Zinsen machten den Märkten zu schaffen. Die Plafonierung der Zinsen durch die Europäische Zentralbank führte dann allerdings dazu, dass Bauprojekte wieder verlässlicher budgetiert und geplant werden konnten. In der Folge erholten sich die meisten EMEA-Märkte. Einige verzeichneten sogar wieder ein Wachstum. In China bewegten sich die Zuwachsraten auf einem anhaltenden hohen Niveau, was wesentlich auf unser schlagkräftiges Vertriebsmodell zurückzuführen ist. Wir nutzen unsere starke Marke im Fliesenklebersegment, um aus den grossen Städten heraus die Distribution in den Provinzen aufzubauen. Damit konnten wir der Marktschwäche trotzen und unsere Marktanteile rasch erweitern.
Wie stark hängt das Unternehmenswachstum von staatlichen Förderungen und Subventionsprogrammen ab?
Hälg: Sika profitiert davon, dass Staaten in Infrastrukturprojekte investieren. Solche Investitionen haben eine stimulierende Wirkung auf die Wirtschaft, und staatliche Förderprogramme können die positive Entwicklung beschleunigen. Dies beobachten wir beispielsweise in Italien, Frankreich und Spanien, die von Geldern aus dem europäischen Green Deal profitieren, oder in den USA mit den Projekten, die durch den Infrastructure and Jobs Act und den Inflation Reduction Act ausgelöst wurden.
Hasler: Was wir in den USA deutlich spüren, sind die Auswirkungen der staatlich geförderten Reshoring-Initiativen, die zur vermehrten Rückführung der Fertigung im Hi-Tech-Segment ins Inland führen. Dazu gehören Anlagen zur Herstellung von elektronischen Bauteilen, von Batterien oder von Komponenten für E-Fahrzeuge. Der Bau solcher Fabriken ist mit hohen Anforderungen verbunden, was Sika zugutekommt.
Wie ist es Sika gelungen, im Automotive-Geschäft einen Rekordwert an Neuaufträgen zu verzeichnen?
Hasler: Die Covid-19-Pandemie und der Mangel an elektronischen Bauteilen hatten einen Rückgang der weltweiten Jahresproduktion von 95 Millionen Fahrzeugen auf 75 Millionen verursacht. 2023 haben sich die Produktionszahlen wieder erholt und etwa 90 Millionen Fahrzeuge erreicht. Diese Entwicklung hat uns eine gute Grundauslastung ermöglicht. Relevant ist für Sika die Transformation vom Verbrennungsmotor zum elektrischen Batterieantrieb. Wir haben in den letzten Jahren massiv in Lösungen für die E-Mobilität und insbesondere in das Management thermischer Batterien investiert. Dieses Segment repräsentiert heute bereits einen zweistelligen Anteil des konventionellen Portfolios und weist ein attraktives Wachstumspotenzial auf.
In welchen Märkten lagen die Investitionsschwerpunkte?
Hasler: Anfänglich vor allem in China, dann sehr stark auch in Europa und mittlerweile auch in Nordamerika.
Ist Sika mit ihrer Technologie auch bei den chinesischen Automobilproduzenten gefragt?
Hälg: Sika hat immer mit europäischen Premiumherstellern im Innovationsbereich sehr eng zusammengearbeitet. Bei der E-Mobilität haben dann allerdings die Chinesen die technologische Führerschaft übernommen. In der Folge hat Sika Partnerschaften mit chinesischen Automobilherstellern intensiviert. Von unserer Kompetenz profitieren heute auch die europäischen Automobilproduzenten.
Also keine Bevorzugung der Europäer?
Hasler: Nein, wir wollen Innovationsführer sein, was bedingt, dass wir mit den Innovationsführern in allen Technologien und Regionen zusammenarbeiten.
Wie lässt sich Sikas Dynamik im Automotive-Bereich in Zahlen ausdrücken?
Hasler: Der Sika Content pro weltweit produziertes Fahrzeug ist von CHF 5.80 im Jahr 2017 auf mehr als CHF 10.00 im Berichtsjahr geklettert. Der Bestellungseingang für die nächsten fünf Jahre hat sich um mehr als CHF 200 Millionen erhöht und erreichte einen Rekordwert.
Hälg: Man sollte nicht vergessen, dass wir im Automotive-Bereich nach wie vor schwerpunktmässig im Karosseriesegment tätig sind, vor allem mit strukturellen Klebstoffen und mit Technologien zur Geräuschdämpfung sowie zur Verstärkung von Crash-relevanten Teilen, die die Sicherheit der Insassen erhöhen. Bei den Antrieben kommt Sika zum Zug, wenn Komponenten für Batterien für Elektromotoren, Wasserstofflösungen oder Hybridsysteme benötigt werden.
Was hat Sie veranlasst, in jeder geografischen Region einen eigenen Automotive & Industry-Bereich zu bilden?
Hasler: Ursprünglich waren die Anforderungen im Automobilsektor und in der Industrie sehr unterschiedlich. Die Anforderungen im Automobilbereich waren von internationalen Standards geprägt, während die Industrie eher lokal ausgerichtet war. Die E-Mobilisierung erfasst nun aber die ganze Branche. Die Überlappungen zwischen Automotive und Industrie haben laufend zugenommen. Wir haben unsere regionale Struktur an die Dynamik des Marktumfelds angepasst. Diese wird immer mehr geprägt von Lösungen für die E-Mobilität und für erneuerbare Energien sowie von neuen industriellen Anwendungen im Bauwesen wie Modular Construction oder 3D-Betondruck.
Sika ist weltweit das erste Unternehmen der Spezialitätenchemie, das alle neuen Produktentwicklungen nach dem Sustainability Portfolio Management (SPM) validieren lässt. Was haben die Kunden davon?
Hasler: Sie erhalten nachvollziehbare Informationen über die Erfassung und Auswertung der Daten, ähnlich wie bei der Science Based Target Initiative (SBTi). Mit dem Sustainability Portfolio Management (SPM) verschaffen wir den Kunden eine hohe Transparenz. Sie können mit Unterstützung von Sika ihren eigenen CO2-Ausstoss nachweislich senken und ihre Umweltrisiken reduzieren.
Hälg: Sika hat die früher oft gestellte Frage, ob nun die Nachhaltigkeit oder die Wirtschaftlichkeit den Vorrang habe, eindeutig beantwortet. Die Sustainability ist sowohl strategisch als auch operativ eine Opportunität, vor allem auch für unsere Kunden.
Hasler: Unsere eigene Organisation fordert uns in Fragen der Nachhaltigkeit. Dabei konzentrieren wir uns auf Entwicklungen, die einen positiven Impact haben. Es ist dieses praxisbezogene, leistungsorientierte Verständnis von Nachhaltigkeit, zu dem wir uns verpflichten. Einfach nur Kriterienkataloge abarbeiten und sich mit Labels schmücken entspricht nicht unserer Kultur.
Bekanntlich entsteht der allergrösste Teil des CO2-Fussabdrucks in der vor- und nachgelagerten Lieferkette von Sika, also bei Dritten. Was bedeutet das für Ihren Handlungsspielraum?
Hasler: Tatsächlich sind 98% unseres CO2-Fussabdrucks vor- und nachgelagert. Deswegen tragen wir tatkräftig und messbar dazu bei, den CO2-Ausstoss auf Lieferanten- und Kundenseite zu verringern. Auch unsere Lieferanten sind sehr darauf bedacht, ihren Footprint zu reduzieren, was automatisch auch unseren Abdruck verkleinert.
Hälg: Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang unsere aktive Mitgliedschaft bei Together for Sustainability (TfS). Diese von der Chemieindustrie lancierte Initiative konzentriert sich darauf, die Nachhaltigkeit in der Lieferkette zu verbessern, und veranlasst die Lieferanten, ihre ökologischen und sozialen Standards laufend zu verbessern. TfS verfolgt einen sehr pragmatischen Ansatz, was gut zu uns passt. Zudem arbeitet Sika mit Hochdruck daran, vermehrt alternative Rohstoffe und biobasierte Produkte einzusetzen.
Hasler: Parallel dazu suchen wir permanent nach alternativen Beschaffungsquellen. Wir beobachten etwa, dass immer noch riesige Mengen an Abbruchmaterialien linear entsorgt werden, obwohl sie zirkular zurückgeführt werden könnten. Wir sind auf diesem Gebiet in Zusammenarbeit mit Start-ups und neuen Anbietern sehr aktiv. Der daraus resultierende Wettbewerb an Ideen ist erfrischend und stimulierend. Eine starke Signalwirkung hat unsere reCO2ver®-Technologie. Dabei handelt es sich um ein neuartiges Betonrecycling-Verfahren, das eine vollständige Verwertung von Altbeton ermöglicht und gleichzeitig CO2 bindet.
Und was bewirkt Sika auf Seite der Kunden?
Hasler: Wir sind Teil ihrer Wertschöpfungskette und ermöglichen ihnen beispielsweise, den CO2-Ausstoss in der Produktion von Beton signifikant zu reduzieren. Unsere Lösungen erlauben die Reduzierung von Klinker und die Verwendung von rezyklierten Zuschlagstoffen, wodurch die Nachhaltigkeitsbilanz der Kunden messbar verbessert wird. Für Sika sind solche Enabler-Lösungen ein wichtiges Geschäft.
Hälg: Wir haben Innovation & Nachhaltigkeit zusammengelegt, mit dem Ziel, Scope 3 direkter beeinflussen zu können, indem wir neue Arten von Rohstoffen verwenden und den Kreislaufgedanken in der Wertschöpfungskette fördern. So erhält der Kunde ein Produkt, das gleichzeitig innovativ und nachhaltig ist, was sowohl auf seine als auch auf unsere Ökobilanz einzahlt.
Sika hat sich der Science Based Target Initiative (SBTi) verpflichtet, die vorgelegten Ziele werden im ersten Halbjahr dieses Jahres validiert. Kann das Netto-Null ohne Beteiligung an Kompensationsprojekten gesenkt werden?
Hasler: Die SBTi verpflichtet Unternehmen, ihre Emissionen bis 2050 absolut um 90% zu reduzieren. Nur die restlichen 10% können kompensiert werden. Sika hat sich im September 2022 der SBTi verpflichtet und jüngst ihre kurzfristigen Ziele für Scope 1, 2 und 3 zur SBTi-Validierung eingereicht. Das Ziel besteht darin, die Scope-1- und Scope-2-Emissionen um 42% und die Scope-3-Emissionen um 25% in absoluten Zahlen bis 2032 zu reduzieren.
Welches sind die stärksten Marken, die mit MBCC in Sikas Portfolio gekommen sind?
Hasler: Das sind vor allem die Fliesenmaterialien von PCI, die in der DACH-Region bei Bauprofis sehr bekannt sind und über ein hervorragendes Vertriebsnetz verfügen. PCI wird als Co-Brand zur Marke Sika weitergeführt. Wir bewahren also den Wiedererkennungseffekt von PCI und machen gleichzeitig Sika sichtbar. Dadurch werden auch die Synergien und die Komplementarität der ehemaligen MBCC-Marke und des Markenportfolios von Sika unterstrichen.
Ebenfalls erhalten bleibt die weltweit bekannte Marke Ucrete. Sie steht für Kunstharzböden, die sich besonders in der Lebensmittel-, Getränke-, Chemie- und Pharmaindustrie bewähren, weil sie extrem widerstandsfähig sind und höchste Hygiene-Anforderungen erfüllen. Die Produktlinie wird neu unter der Marke Sika Ucrete vertrieben.
Haben sich nach der Übernahme von MBCC Sikas Akquisitionskriterien verändert?
Hälg: Unser Fokus bleibt auf kleineren und mittleren Unternehmen, die unser Geschäftsmodell ergänzen (Bolt-ons). Das angestrebte Investitionsvolumen für Akquisitionen liegt nach wie vor bei rund CHF 300 Millionen pro Jahr.
Wie lang ist die Longlist der möglichen Kandidaten?
Hasler: Die Liste ist sehr lang. Der Markt ist stark fragmentiert und eröffnet uns viele Gelegenheiten in den lokalen Märkten. Die typischen Übernahmen bewegen sich zwischen CHF 50 und CHF 150 Millionen Jahresumsatz. Grosse Akquisitionen wie Parex oder MBCC sind die Ausnahme.
Typisch ist die im August angekündigte Akquisition der Firma Chema in Peru. Das Familienunternehmen mit einem Jahresumsatz von CHF 50 Millionen ist ein führender Mörtelhersteller und hat eine äusserst effiziente Vertriebs- und Logistikorganisation. Chema bietet eine ideale Plattform für weiteres Wachstum. Solche und ähnliche Transaktionen sind in allen 103 Ländern möglich, in denen Sika tätig ist.
Seit dem 1. Oktober 2023 sind die regionalen Verantwortungen innerhalb der Konzernleitung neu verteilt. Was hat den Anstoss zu dieser eher unüblichen Rotation gegeben?
Hälg: Die Neuordnung der Verantwortlichkeiten ermöglicht uns, erfolgreiche Initiativen wie «Go where the Money is» oder die «Distribution Journey» in neue Regionen und Märkte zu bringen. Gleichzeitig signalisiert die Rotation, dass die von Sika gepriesene Agilität auch auf der obersten Führungsebene gelebt wird. Das Sesselrücken motiviert die ganze Organisation.
Wie passt die Rochade mit dem Streben nach Kontinuität zusammen?
Hasler: Eine gewisse Umstellung ist durchaus wünschenswert und gesund, denn Kontinuität kann zu einem gewissen Mass an Erstarrung führen. Wir können in den Regionen neue Blickwinkel eröffnen, ohne dass die Organisation ihre Ausrichtung verliert. Der Neuordnung der Konzernleitung sind selbstverständlich intensive Gespräche vorangegangen. Die Kollegen waren sich einig, dass es nach fünfjähriger Zuständigkeit für eine Region spannender und bereichernder sein würde, die Verantwortung für eine andere Region zu übernehmen, anstatt weitere fünf Jahre am gleichen Posten zu bleiben. Die ersten Erfahrungen zeigen klar, dass sowohl in den Regionen als auch am Hauptsitz eine zusätzliche Dynamik ausgelöst wird.
Was bedeutet die Rotation für das Privatleben der betroffenen Manager?
Hasler: Die Auswirkungen sind sehr beschränkt, weil die Manager ohnehin einen Grossteil ihrer Arbeitszeit in den Märkten verbringen, für die sie zuständig sind. Relevant ist nicht der Standort des Hubs wie zum Beispiel Singapur, sondern das Land, in dem wir den Grossteil unserer Geschäfte tätigen, also zum Beispiel China oder Indien.
Hälg: Ich bin überzeugt, dass nur wenige Firmen eine solche Rochade in Erwägung ziehen können. Sika hat sie aus einer Position der Stärke und ohne jegliche Zwänge beschlossen. Die Rotation wird für den ganzen Konzern einen Mehrwert generieren und die Umsetzung der neuen Strategie beschleunigen.
Mit der neuen Strategie strebt Sika eine überproportionale Zunahme des EBITDA an. Was stimmt Sie so optimistisch?
Hasler: Die Bausteine für das EBITDA-Wachstum sind primär der Ausbau der Materialmarge, Skaleneffekte, eine Verbesserung der operationellen Effizienz und der jährlichen Synergien aus Akquisitionen wie beispielsweise der MBCC-Akquisition, für die wir ab 2026 CHF 180–200 Millionen veranschlagen.
Ist die angestrebte EBITDA-Marge von bis zu 23% nicht etwas gar ambitiös?
Hasler: Sie ist in der Tat ambitiös, aber realistisch. Wir haben mit den acht Zielmärkten und den fünf Kerntechnologien ein sehr ausgewogenes Portfolio. Die Rückmeldungen aus den Märkten bestätigen, dass wir gut positioniert sind und über ein solides Margenpotenzial verfügen. Die angestrebte Bandbreite der EBITDA-Marge von 20% bis 23% lässt sich gut herleiten.
Hälg: Sika versteht es ausgezeichnet, den Nutzen für die Kunden zu steigern und zu ihrer Wertschöpfung beizutragen. Kontinuierliche Innovationen und ein starker Nachhaltigkeitsfokus sind dabei zwei ganz wichtige Erfolgsfaktoren.
Wo gibt es noch Luft nach oben?
Hälg: Unsere dezentrale Struktur führt dazu, dass Synergien in der Fertigung, dem Supply Chain Management oder den Services noch nicht überall ausgeschöpft sind. Die betriebliche Effizienz liegt teilweise noch unter dem Sollwert, was wir mit der Strategie 2028 sukzessive ändern wollen.
Wie war der Start ins neue Jahr und wie sind Ihre Erwartungen für das ganze Jahr?
Hasler: Wir gehen davon aus, dass das im Jahr 2023 aufgebaute Momentum anhält. Wir wollen weitere Marktanteile gewinnen und erwarten, dass sich die Inflations- und Preisentwicklung normalisiert. Auch das Ziel einer überproportionalen Rentabilitätssteigerung ist aus heutiger Sicht realistisch und für unsere Zukunft wichtig.
Und wenn es trotzdem zu überraschenden konjunkturellen Einbrüchen kommen sollte?
Hälg: Dann sind wir flexibel. Unser Profit and Loss Management (P & L) verteilt sich weltweit auf rund 100 General Managers, die auf kritische Entwicklungen in ihren Märkten schnell reagieren und sich wie selbstständige Unternehmer den neuen Gegebenheiten anpassen. Der Sika Spirit funktioniert. Hier haben wir gegenüber zentral geführten Konzernen einen enormen Vorteil.
Dann wäre ein disruptives Umfeld für Sika sogar von Vorteil, weil sich einfacher Marktanteile gewinnen lassen …
Hasler: Veränderungen sind bei uns durchaus positiv besetzt. Unter konstanten Rahmenbedingungen können viele Player sich positionieren und profitieren. Wenn sich hingegen das geopolitische Umfeld ändert, verliert sich manches Unternehmen in der Komplexität oder nimmt Veränderungen aus einem zu kurzfristigen Blickwinkel vor.
Zum Beispiel?
Hasler: Die bis vor wenigen Jahren forcierte Verlagerung von Produktionskapazitäten nach China im Zeichen der Globalisierung ist ein gutes Beispiel. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie, die zu schweren Unterbrechungen der Lieferkette führte, begann das Pendel, zurückzuschlagen. Die Präsenz mit eigener lokaler Produktion wurde wieder zu einem Wettbewerbsvorteil. Davon profitiert Sika. Wir sind überall dort, wo die Kunden uns brauchen und lösen das Versprechen «Building Trust» vor Ort ein.
Hälg: Zur Vertrauensbildung trägt auch die Qualität unserer Produkte bei. Die weltweite Verschärfung der Baustandards kommt uns entgegen. Dass wir in manchen Ländern für die Entwicklung von Standards konsultiert werden, erfüllt uns mit Stolz. Das schaffen nur Unternehmen, die agil, lokal gut verankert und technologisch topfit sind.
Herr Hälg, Sie werden zur Generalversammlung 2024 nach 15 Jahren, davon 12 Jahre als Präsident, aus dem Verwaltungsrat ausscheiden. Auf welche Meilensteine sind Sie besonders stolz?
Hälg: In Zahlen ausgedrückt ist es das Umsatzwachstum zwischen 2009 und 2023 von CHF 4.16 Milliarden um mehr als CHF 7 Milliarden auf CHF 11.24 Milliarden und eine gleichzeitige EBIT-Zunahme von CHF 344.0 Millionen auf CHF 1’549.1 Millionen. Eine zentrale Voraussetzung für diese erfolgreiche Entwicklung war unsere Unabhängigkeit, die wir uns nach dem erfolgreich abgewehrten Übernahmeversuch durch Saint-Gobain bewahren konnten. Auch die Einführung der Einheitsaktie, die jeder Aktie eine Stimme verleiht und stellvertretend für unsere vorbildliche Corporate Governance steht, war ein nachhaltiger Meilenstein. Nicht zuletzt möchte ich die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur von Sika erwähnen.
Inwiefern hat sich die Kultur geändert?
Hälg: Sika war schon zu Beginn meiner Präsidialzeit global aufgestellt, hatte damals aber einen leicht zentralistischen Ansatz. Dies hat sich völlig gedreht. Wir haben die Entscheidungsfreiheit nach dem Subsidiaritätsprinzip so weit als möglich nach unten delegiert und die grösstmögliche Kundennähe ermöglicht. Die heute etablierte Unternehmenskultur ist unser stärkster Wettbewerbsvorteil. Die Länderverantwortlichen wurden befähigt und ermutigt. Sie sind es, die Investitionen, Innovationen und Akquisitionen anregen. Heute ist es selbstverständlich, dass die Akquisitionsideen aus den Ländern kommen. In meinen Anfangsjahren bei Sika war es hingegen noch die Zentrale, die vorgab, wo welche Übernahmen durchzuführen sind.
Was für ein Land gut ist, muss für die Gruppe noch lange nicht gut sein …
Hälg: Die rund 450 Senior Managers verstehen ausgezeichnet, was für Sika das Beste ist. Jedes Managementmitglied ist sich bewusst, dass es nicht nur für seinen eigenen Markt, sondern für Sika insgesamt verantwortlich ist. Entsprechend ausgeprägt ist auch der Wille, sich gegenseitig zu unterstützen.
Verstehen internationale Analysten und Investoren diesen Ansatz?
Hälg: Ja, wir beobachten, dass wir ihnen diesen Ansatz glaubwürdig vermitteln können und dass er sehr gut ankommt.
Welches sind aus Ihrer Sicht die Kernelemente der Sika Kultur, Herr Hasler?
Hasler: Das Streben nach Leistung, die Betonung des «Miteinanders», der gegenseitige Respekt sowie die Ermutigung aller Mitarbeitenden, sich als Individuen einzubringen und die Arbeit im Team zu stärken.
Herr Hälg, wie wird Thierry F. J. Vanlancker, Ihr designierter Nachfolger als Verwaltungsratspräsident, die Sika Kultur beeinflussen?
Hälg: Thierry hat eine 30-jährige Erfahrung im Chemiesektor. Er kommt aus einer ähnlichen Industrie mit ähnlichen Märkten und Vertriebsstrukturen und ähnlichen Herausforderungen hinsichtlich Technologie und Nachhaltigkeit. Auch er hat dezentrale Führungsstrukturen gefördert und die lokalen Märkte gestärkt. Er gehört dem Sika Verwaltungsrat bereits seit 2019 an und hat unsere Kultur in den letzten Jahren mitgeprägt.